Quäkertum

Wir Quäker behaupten, kein Glaubensbekenntnis zu haben. Wir haben aber fast so etwas! Denn die meisten von uns würden sagen, dass wir an „Das von Gott in jedem Menschen“ glauben. Wie leicht ist das gesagt. Wie schwierig ist es zu leben! Aber wenn wir es ernst meinen, müssen wir es leben.  (…) Es bedeutet, an das Gute in jedem und an das Potenzial für Wachstum und Veränderung in uns allen zu glauben. Einige unserer engsten Freunde waren früher in Gewalt verstrickt und haben sich geändert. Ich habe so viel von ihnen und ihrem Mut, sich zu ändern, gelernt und es ermutigt mich zu glauben, dass sich jeder ändern kann. (Diana Lampen 1991)

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Geschichte Die Religiöse Gesellschaft der Freunde ist aus einer Bewegung entstanden, die George Fox im 17. Jahrhundert auf christlicher Grundlage in England ins Leben rief. Zu seinen Lebzeiten bildeten sich Gruppen von Quäkerinnen und Quäkern in Deutschland, die jedoch bald religiösen Verfolgungen zum Opfer fielen. Offiziell geduldet wurden sie erstmalig um 1790 in Bad Pyrmont. Seit 1800 stand dort ein Versammlungshaus, das 1932 neu errichtet wurde. Nach 1918 war das Quäkertum in Deutschland und Österreich im Wesentlichen durch die Begegnung mit britischen und amerikanischen Freundinnen und Freunden, die im Rahmen von Hilfsaktionen von Quäkerorganisationen hier tätig waren, wieder zu neuem Leben erweckt worden. Die in Deutschland nun entstandenen Gruppen schlossen sich im Jahre 1925 zu einer selbständigen „Deutsche Jahresversammlung“ zusammen. 1938 kamen die österreichischen Freundinnen und Freunde hinzu.

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Im Zentrum des Quäkerglaubens steht die Vorstellung des “Inneren Lichtes”. Sie besagt, dass ein bestimmtes Element von Gottes Geist und von göttlicher Energie in jede menschliche Seele hineingelegt worden ist. Dieses Element war den frühen Quäkern unter verschiedenen Bezeichnungen bekannt: “Das von Gott in jedermann”, “der Same von Christus”, “der Same des Lichtes”. In den Worten des Evangelisten Johannes (1:9) bedeutete es den Freunden: “Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt”. Im Allgemeinen glauben die Freunde, dass eine unmittelbare Kenntnis von Gott nur durch das möglich ist, was jeder Mensch persönlich erfährt, oder was ihm in seinem Innern durch den erleuchtenden Geist Gottes offenbart wird. Dies erklärt die Haltung der Freunde gegenüber vielem, speziell gegenüber der Person und Bedeutung von Christus, gegenüber den Schriften, der Institution und Autorität der Kirche, den Riten, Symbolen und Sakramenten und ganz besonders gegenüber den inneren Verpflichtungen jeder einzelnen Person. Die Vorstellung des Inneren Lichtes beinhaltet zwei Aspekte: Erstens macht das Innere Licht Gut und Böse erkennbar. Es zeigt die Gegenwart von beiden im Menschen und bietet durch seine Führung die Möglichkeit zu wählen. Zweitens bringt uns das Innere Licht die Einheit aller Menschen zum Bewusstsein. Freunde glauben, dass die Möglichkeit zum Guten wie zum Schlechten in jedem Menschen angelegt ist. Einer der spezifischsten Aspekte des Quäkertums ist ein Sinn für die Unmittelbarkeit Gottes, der von gewöhnlichen Männern und Frauen wieder entdeckt worden ist. Die Schriften von frühen Freunden sind voll von Geschichten über “Begegnungen mit Gott” und “geführt sein durch den heiligen Geist”. Manchmal halfen diese Erfahrungen ihrem Selbstverständnis als Quäker. Gelegentlich empfanden sie ein Bewusstsein für etwas, das als Teil der Absicht Gottes auf dieser Erde getan werden müsste. Die Freunde begannen den Begriff Anliegen (concern) zu verwenden, um ihre Erfahrung zu beschreiben, dass Gott zu ihnen sagen könnte: “Das ist es, was getan werden muss – und du musst helfen, es zu tun”

Diese Art der direkten Gotteserfahrung ist nicht einzigartig für die Freunde. Sie ist im Judentum und Christentum gleichermassen bekannt. Die religiöse Gesellschaft der Freunde versucht aber auf besondere Weise, ihre Mitglieder zu unterstützen, solchen Rufen zu folgen. Die Freunde haben sich immer gegenseitig zur Vertiefung in der christlichen Lebensführung ermutigt und darin die Notwendigkeit betont, sich dem heiligen Geist und dem Ruf Gottes zu öffnen.

Bezüglich formaler Glaubenssätze und theologischer Dogmen unterscheidet sich die Einstellung der Freundinnen und Freunde von derjenigen der meisten Christen. Glaubenssätze bilden nicht die Grundlage für den Zusammenhalt ihrer Gemeinschaft. Die Freunde sind sich bewusst, dass dem verbalen Ausdruck der tiefsten Erfahrungen Grenzen gesetzt sind. Freunde sind sich auch im Klaren darüber, dass Worte die persönliche Überzeugung eines Menschen zu einer bestimmten Zeit adäquat ausdrücken mögen, aber später für die gleiche Person fast sicher unpassend sind. Umso schwieriger ist es, die religiöse Überzeugung einer Gruppe von Menschen zu definieren. Worte und Sätze bieten sich oft für verschiedene Interpretationen an. (Hans Weening, FWCC/EMES 2003, „Begegnung im Geist“)

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Im Quäkertum gehen wir davon aus, dass die spirituellen Erfahrungen, die Menschen machen, unterschiedlich sein können, unterschiedlich ausgedrückt werden und nicht zugleich für andere gültig sein müssen. Für viele beruhen unsere Einsichten als Quäkerinnen und Quäker darauf, dass die Wirklichkeit Gottes größer ist als alle menschlichen Aussagen über sie. Das Quäkertum ist daher eine Religion ohne Dogma und ohne ein festgelegtes Glaubensbekenntnis. Wir haben erfahren und werden durch die Überlieferung darin bestätigt, dass der Mensch die Verbindung mit dem Göttlichen in seinem Inneren erleben kann und vertrauen darauf, dass in jedem Menschen der Keim zu dieser Erfahrung angelegt ist. Daher sprechen wir von dem „von Gott in jedem Menschen“, dem „inneren Licht“, der „inneren Stimme“ und dem „inneren Christus“. Wir vermeiden es, unsere religiösen Erfahrungen als allgemeinverbindlich zu erklären, da diese individuell verschieden sind und nicht zugleich für andere gültig sein müssen. Wir verstehen unseren Glauben nicht als einen einmalig gewonnenen Zustand, sondern als eine lebendige Entwicklung. Neue Gotteserfahrungen sind jederzeit möglich. Nach unserer Vorstellung bilden Glauben und Leben eine Einheit. Wir bemühen uns, dies in unserem Sprechen und Handeln sichtbar werden zu lassen. Gespräche und Berichte über religiöse Erfahrungen können Suchenden Einsichten vermitteln. Das Studium der Bibel, aber auch anderer religiöser Schriften hat sich für viele als hilfreich erwiesen. Auszüge aus Schriften von Quäkerinnen und Quäkern sind im Buch „Quäker Glaube und Wirken“ und anderen Veröffentlichungen enthalten.  (Ordnung des Zusammenlebens 2012)

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Als George Fox nach Menschen suchte, die ihm einen Rat geben könnten, wollte er nicht von der Kirche loskommen, sich von Riten und Vorschriften befreien. Er suchte ja gerade bei solchen, die als gute Christen galten, auch bei Geistlichen. Er war enttäuscht, dass diese ihm nicht den Weg zu einem rechten Leben im Sinne des Evangeliums weisen konnten, ja, dass sie selbst nicht ein solches Leben führten.  Das entscheidende Erlebnis war die Erkenntnis, dass er in seinem Inneren die Führung finden konnte, die er bei den Menschen vergebens gesucht hatte. Diese Erfahrung war die Wurzel des Quäkertums. Die Sehnsucht nach einer solchen Führung verspürte George Fox auch in anderen Menschen, als er die Vision hatte von einem „Großen Volk“ das auf seine Botschaft wartete. Was wesentlich ist für uns Quäker ist also nicht, was uns von anderen unterscheidet, sondern gerade, was uns gemeinsam ist mit tiefen Gläubigen anderer Kirchen, anderer Religionen, wohl auch manchen Menschen, die sich zu keiner Religion bekennen: das Suchen nach dem rechten Weg im Leben. Diesen Suchenden können wir unsere besondere Form der stillen Andacht anbieten. (Grete Scherer,  DER QUÄKER 11/1992) 

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Wahrer Glaube ist keine Sicherheit, sondern die Bereitschaft experimentell fortzufahren, ohne Garantie. Er ist Feingefühl noch unbekannten Dingen gegenüber. Das Quäkertum sollte von sich nicht behaupten, eine Religion der Gewissheit zu sein, sondern eine Religion der Ungewissheit. Dies ist es, worin unsere besondere Verwandtschaft mit der Welt der Wissenschaften besteht. Denn was wir von der Wahrheit erfassen, ist begrenzt und einseitig; die Erfahrung kann dies alles in ein neues Licht rücken. Wenn wir zu leicht unser Verlangen nach Sicherheit befriedigen indem wir behaupten, Gewissheit gefunden zu haben, werden wir nicht länger für neue Erfahrungen der Wahrheit empfänglich sein. Denn wer sucht schon das, wovon er glaubt, es bereits gefunden zu haben? Wer erforscht ein Gebiet, von dem er behauptet, es bereits zu kennen? (Charles Carter, 1971, Quäker Glaube & Wirken 26.39)

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Religion bedeutet mit Gott zu leben. Es gibt keine andere Art der Religion. Leben mit einem „Buch“, leben mit oder nach einer „Regel“, schrecklich prinzipientreu zu sein, ist an sich keine Religion, obwohl viele Menschen so denken und meinen, das sei schon alles. (…) Um die Religion selbst zu finden, musst du in Menschen und in dich selbst hineinschauen. Und wenn du dort auch nur das kleinste Körnchen wahrer Liebe findest, magst du auf der richtigen Fährte sein. Millionen von Menschen besitzen es und wissen doch nicht,  was es ist, das sie besitzen. Gott ist ihr Gast, aber sie haben nicht die geringste Ahnung, dass Er im Hause ist. Du musst daher nicht nur dort hinschauen, wo man sich zu Gott bekennt und Ihn anerkennt. Du musst überall hinschauen, um die wahre Religion zu finden. (…) Aber für die meisten Menschen, die Gott kennen (und für alle solchen Menschen fast die ganze Zeit), bedeutet ein Leben mit Gott nicht, eine Erscheinung zu haben, sondern eine wortlose und endlose Sicherheit. Wie das gemeinsame Schweigen zweier Freunde. Wie das Schweigen von Liebenden. Gott wartet darauf, so in jeder einzelnen Person dieser Welt zu leben. (Bernard Canter, 1962, Quäker Glaube & Wirken 26.37)

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Literatur Quäker – Glaube und Wirken (2010)
468 Seiten, ISBN 978-3-929696-44-8 (das Handbuch der Quäker, übersetzt aus dem Englischen)   € 18  hier bestellen